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Inside Tamil Nadu

Hindu-Tempels, Reisfelder und eine fantastische Küche prägen den südlichen Bundesstaat Tamil Nadu. Dazu kommen all die kuriosen, wunderbaren, überbordenden Alltagssituationen wie man sie nur in Indien erleben kann. Nach fünf Indien-Reisen kann ich nun endlich einen Satz auf Hindi: Muje chai pasanda he. „Ich mag gern Tee“. Dieser lässt sich praktisch auf alle kulinarischen Genüsse abwandeln. Statt chai, sagt ich Masala Dosa, Chapati oder Paneer Butter Masala. Allerdings bringt der Satz nicht so viel. Hindi ist zwar (neben Englisch) Amtssprache, aber in Indien gibt es über 120 verschiedene Sprachen, die Dialekte nicht dazugezählt. Im Tamil Nadu sprechen die meisten Menschen Tamil und Hindi ist eher verpönt.
Unsere Reise durch den Bundesstaat führte uns von Madurai hoch an die Küste nach Chennai. Wir verweilten länger in der Region Chettinad, in der die Menschen um 1900 zu grossem Reichtum kamen und Paläste bauten, die aber heute am Zerfallen sind. Wir besuchten Hindu-Tempel mit reich und bunt verzierten Türmen (in Trichy, Madurai, Tanjavure). Radelten durch ländlich Dörfer und Reisfelder. Spazierten über rötliche Felslandschaften und machten Urlaub vom Trubel in der ehemals französischen Kolonie Puducherry. Im folgenden eine Sammlung von wiederkehrende Charakteren, Gegenständen und Situationen, die Indien ausmachen – illustriert mit colorierten Zeichnungen aus dem Reisejournal.

Der Chaiwalla: „Er macht Tee“, wäre die kürzestes aber auch die armseligste Umschreibung dieses Manns. Jedes Glas Chai ist eine Performance. Der Schwarztee (manchmal mit Kardamom, Zimt oder andere Gewürzen aromatisiert, ein Chai masala) zieht ausgiebig und wird mit heissem Wasser verdünnt. Dazu kommt siedend heisse Milch, viel, viel Zucker (für uns jeweils „Please, only little sugar“ was für den Mann jeweils einen Teelöffel bedeutet). Und nun startet der grosse Moment des Chaiwalla: Um den Chai auf eine trinkfreundliche Temperatur zu bringen, giesst er ihn schwungvoll und mit grossem Höhenunterschied zwischen zwei Tassen hin und her. „Unser“ Chaiwalla gegenüber des Hotels Saratha Vilas zelebrierte diese Show jeweils besonders achtsam. Und wir startete danach im Zucker und Koffein-Flash unsere nachmittägliche Radtour durch die Reisfelder. Ein Chai kostet übrigens meist 8 Rupies (10 Rappen), die 2 Rupie-Münze Rückgeld investiert man am besten in ein Butterkeks aus einem der grossen Gläser, die es an jedem Chai-Stand gibt. Die schmecken richtig gut!

Puja: Für jede Lebenslage, für jeden Anlass gibt es im Hinduismus ein Ritual, eine Puja. Einige macht man alleine zu Hause oder im Tempel, man zündet ein Räucherstäbchen an, legt Blumen, Bananen oder Kokosnüsse dar. Für andere Pujas gehen die Gläubigen zu einem Brahmanen, einem Priester, und bezahlen dafür. In Trichy (die Stadt heisst in voller Länge Tiruchirappalli), nahm uns die Besitzerin des Tranquility Guesthouse mit an den Fluss, nah des Tempels, wo die Rituale morgens abgehalten werden. Sehr beliebt sind zum Beispiel die „Elephant-Blessings“, das Tier berührt einem mit seinem Rüssel am Kopf und holt sich dann einen Rupie-Schein ab. Eltern lassen bei ihren Kleinkindern den Kopf rasieren und opfern die Haare. Es gab einen Baum, an deren Stamm junge Frauen, die einen Ehemann suchen, eine gelbe Schnur mit einer Kurkuma-Wurzel knüpfen.

Affen Wo ein Tempel ist, sind die Affen nicht weit. Das „Jö“ vergeht einem schnell, wenn man merkt, wie frech die Tiere sind. Sie haben es vor allem auf die Opfergaben (Bananen, siehe oben) abgesehen und ganz dreiste Exemplare entreissen den Besuchern gleich beim Eingang die Plastiktüten – die dann fachmännisch ausgeräumt werden. Seit ich an meiner Hand einen Affenfinger gespürt habe (die Dame wollte meine Plastikflasche), fürchte ich mich vor den Tieren.

GötterweltenYou know, it’s not a small topic„, erklärte uns der Führer im Dr. Bhau Daji Lad Museum in Mumbai, auf eine Frage zu einzelnen Göttern. Es gibt einfach zu viele! Jede Familie hat ihren Hauptgott, meist jener, der in der Nähe des Wohnorts einen für ihn geweihten Tempel hat. Sehr verbreitet sind die Götter Vishnu und Shiva. Männer zeigen ihre Zugehörigkeit (z.B. nach einem Tempelbesuch) mit einer Zeichnung im Gesicht. Ein querer Balken auf der Stirne ist für Shiva, zwei Striche zwischen den Augenbrauen für Vishnu. Beliebt in Tamil Nadu ist Gott Ayyanar. Er reitet auf einem Pferd nachts ums Dorf und beschützt es. Auf dem Land sieht man öfters heilige Plätze wo unter Bäumen (fast lebensgrosse) Pferde aus Terracotta stehen. Was ein Gott macht, was er für Symbole mit sich trägt, wird auf Abbildungen streng eingehalten. Eine Inderin meinte auf die Zeichnung im Skizzenbuch von Elefantengott Ganesha: „Oh, very nice. But you should definitely draw the mouse. It is his vehicle. Without the mouse it is not complete!“ Wobei wir grad eine schöne Überleitung zum (ebenfalls grossen Thema) Mobilität in Indien hätten.

Fahrzeuge Die besten Storys in Indien passieren unterwegs. Allerdings ist der Ärger-Faktor dann auch am höchsten. Zugfahren kann (wenn die Strecke kurz und der Zug pünktlich) super toll sein. 12 Stunden von Goa nach Mumbai im Bummler und ohne gültige Sitzplatz-Reservation, da in den falschen Zug gestiegen, sind eine Nie-Wieder-Angelegenheit. Allerdings: Missen möchte man das Erlebnis doch nicht, denn – genau, die Geschichte darüber ist einfach zu gut.

In einigen Städten gibt es inzwischen Uber, was das Taxifahren ungemein erleichtert. Der durchschnittliche Fahrer in Indien kann meist weder Englisch noch Lesen – gutgemeinte Zettelchen mit der Zieladresse vom Hotelpersonal werden meist lange ratlos angeschaut. Busse und Züge sind ein perfekter Ort für Smalltalk, man hat schnell (Körper)Kontakt und die Fahrt im überfüllten Fahrzeug wird so kurzweilig und lustig. „My wife is very shopping„, erzählte mir ein Mann im Bus, der mit seiner Familie vollbepackt vom Markt kam. Manchmal reichen auch basale Erklärungen. Als ein Bus plötzlich nicht mehr weiterfuhr, alle aussteigen mussten und wir fragten was los sei, zeigte ein Junge mit seinem Finger auf das Rad und meinte: „Indian problems.“ Bei dieser Story schüttelten sich unsere indischen Freunde in Goa vor Lachen.

Indisch Frühstücken Der Morgen beginnt würzig – und deftig. Beim südindischen Frühstück stehen Sambal und Kokosnuss-Chutney auf dem Tisch. In diesen Saucen tunkt man Idli (Reisküchlein) oder Vada (eine Art Donuts aus Linsenmehl). Beliebt und ziemlich heavy ist Pongal, ein süsser, dicker Brei aus Milch, Reis und Linsen. Das wichtigste tamilische Fest, das Mitte Januar gefeiert wird, heisst ebenfalls Pongal – dann bereiten die Familien das Gericht in einem Tontopf über dem Feuer zu. Das beste Frühstück hatten wir übrigens im Gratitude in Puducherry. Die Köchin des Hotels hat ein besonderes Talent für Chutneys. Ausserdem ist das Ambiente toll: man sitzt entweder an einem langen Tisch im offenen Wohnzimmer oder im Innenhof mit seinen vielen tropischen Pflanzen. Das Gratitude liegt mitten im Französischen Quartier von Pondy, nur einen Block vom Meer entfernt.

ThaliVeg or Non-veg?„, ist die Frage der Inder, wenn man nach einem guten Restaurant sucht. Praktisch: rund um die Tempel wird sowieso nur vegetarisch (oder gar vegan) gekocht. Über Mittag wird vielerorts Thali serviert. Man erhält eine runde Platte mit kleinen Metallschalen, die mit verschiedenen Currys gefüllt sind. Etwas Süsses hat es meist auch darunter – wobei man dieses gelassen auf die Seite schieben kann, weil es einfach viel zu viel Zucker drin hat. In den Thali-Restaurants gehen Angestellte mit Töpfen zwischen den Tischen rum, bringen Reis und Brot und füllen die Töpfchen nach. Gewisse Herren sind dann sehr erpicht darauf, dass ihre ausländischen Gäste auch ja genug essen und alles probieren. Das klingt dann wie ein Befehl:  „You take this, with this. And dip this with this….“ Die Bandbreite an Thali-Restaurants ist riesig. Es gibt ganz einfache Lokal, in denen man pro Person für 80 Rupies isst (1.10 Fr.) oder bekannte Restaurants wie das Chetana in Mumbai wo das Thali dann 500 Rupies kostet – dort war die Menge an Essen aber eindeutig zu viel…

Drei Lieblingsorte in Tamil Nadu:
Sarathas Vilas in der Chettinad-Region: Zwei französische Architekten haben aus einem der typischen Paläste ein Boutique-Hotel gemacht. Traumhaft, ein eigener Beitrag über den Ort folgt bald.
Tranquility Guesthouse, Trichy: das Haus liegt ziemlich ausserhalb der Stadt, doch der Weg lohnt sich: Vier hübsche, grosse Gästezimmer, hervorragendes Essen (die benachbarte Familie bereitet abends ein Thali zu, serviert auf dem Bananenblatt) und ein tolles Gastgeberpaar. Raja und seine Frau sind beide Reiseführer und bringen ihren Gästen Indien abseits der Touristenplätze näher. Sie hat uns am morgen zu den Ritualen beim Tempel begleitet. Raja organisierte für uns einen Fahrer, der uns einen Tag lang zu speziellen Tempeln auf dem Land chauffierte.
Gratitude Hertitage, Pondicherry: Das mit dem guten Frühstück! Das Hotel ist ausserdem sehr ruhig, die acht Zimmer gehen alle in den Innenhof. Wir hatten Nummer 3… In der Nähe befindet sich die Villa Shanti , wo wir oft gegessen haben. Sehr stylish ist Coromandel Cafe (der Kaffe ist gut, alles andere weniger) mit Buchhandlung und Boutique. Gute Vegetarisches Indisches Essen (die Restaurants in Pondy sind „very western“) gibt es bei Surguru. Wenn man genug von der Stadt hat: in eine Moto-Rikscha steigen und an den Serenity Beach fahren. Und der Surfguide eines Freundes hat leider recht. „People shit on the beach„, steht dort. Unschön, aber halt auch Indien.

 

 

 

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  1. Ich finde eure Berichte sehr interessant und die Zeichnungen einfach super. Im Nationalmuseum in Prangins, gab es eine Ausstellung über bedruckte Stoffe aus Indien. (Ging im Okt. zu Ende). Habe über die Indischen Stoffe Führungen gemacht. Die Ausstellung war sehr beliebt, es kamen sehr viele Leute und da kam Pondicherry auch vor. Pondicherry war ein wichtiger Handelsplatz für die Stoffe, die Coromandel Region war sehr bekannt für seine hochwertigen Stoffe. Die Baumwollstoffe kommen ursprünglich aus Indien. Eine eindrückliche Geschichte. Und ihr wart da! Habt ihr davon gehört? Eine Stofffabrik besucht? Lbgr Mirta

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