Als wir uns von Stephanie verabschiedeten, musste ich heulen. Das ist mir auf all unseren Reisen noch nie passiert. Wirklich. Aber die drei Tage auf der Rancho Evergreen in Chiapas haben mich so tief berührt und glücklich gemacht.
Es ist die Sehnsucht nach einem Leben in der Natur, die mich auf Rancho Evergreen erfasst und den Abschied so emotional gemacht hat. Dieses Gefühl von „Das ist es! So möchtest du doch auch leben!“ Sonderlich originell sind diese Träume nicht. Ich teile sie mit vielen anderen Menschen und nur wenige sind mutig genug, diese auch zu leben – so wie das Stephanie und Sam mit ihren Teenagertöchtern Zoe und Cheyenne tun.
Die beiden haben sich vor zwanzig Jahren in San Cristobal de las Casas kennengelernt, Stephanie, Französin aus Lyon, war in Mexiko am Reisen. Sam, Amerikaner aus Tucson Arizona, arbeitete auf einer Pferdefarm.
Von San Cristobal aus sind es ungefähr fünfundvierzig Minuten im Taxi bis zur Ranch, die zum Dorf San Isidro Chichihuistan gehört. Aus der gut befahrenen Strasse wird eine holprige, kurvige Piste. Dschungel, Feldern und Wiesen wechseln sich ab, zerstreut liegen Farmen und Häuser in der Landschaft. Im Herbst zieht gegen Mittag oft Nebel auf und verhängt die grünen Hügel. Zudem wird es in der Nacht ziemlich frisch – die Ranch liegt auf ungefähr 2000 Metern – und unser Gepäck war eher karibikmässig ausgerichtet. Wir schliefen in unserem Zimmerchen gleich neben den Pferdeställen unter einem Berg Decken und Stephanie hat mir für die zweite Nacht sogar eine Mütze mitgegeben… Aber so ist das Rancherleben nun mal in der Realität.
Mich hat es wegen den Pferden auf die Ranch gezogen. Das Ponymädchen in mir wollte endlich wieder reiten gehen. In San Cristobal werden an fast jeder Ecke Ausritte angeboten, nur befürchte ich, dass man dort auf einem gelangweilten Pferd im Touristengrüppchen landet. Bei der Rancho Evergreen war ich sofort sicher, dass dies nicht passieren wird – und dass auch mein liebster Mitreisender und Nicht-Reiter gut aufgehoben ist. Den ersten Nachmittag verbrachten wir in der Koppel auf der Farm, Sam führt Anfänger sehr einfühlsam ans Pferd heran. Er erklärt viel über das Wesen des Tiers – und was dies für den Reiter bedeutet. Horsemanship nennt man diese Methode, und besser als Sam kann man das nicht machen.
Neben den zwölf Pferden bevölkern fünf Hunde, ein riesiger Bulle (ich konnte es mir nicht verkneifen ihn am Kopf zu kraulen), Katzen und Hühner die Farm. Eine echte Nummer ist Muffin, die Chihuhua-Hündin, deren beiden Söhne fast doppelt so gross sind (Vater unbekannte) und die während unseres Ausritts wie eine Rakete neben den Pferden herlief – irgendwie wird mir auch langsam klar, wieso kleine Hunde in unseren Städten oft so böse aus der Handtasche keifen. Die möchten einfach gern für voll genommen werden.
Einer unserer Lieblingsplätze war die Küche der Ranch – zum gemütlichen Plaudern und natürlich zum Essen. Stephanie kocht vegetarisch. Auf der Ranch wachsen Früchte wie Birnen und Limetten, es gibt einen Gemüsegarten und Eier von den eigenen Hühnern. Ein Mädchen aus der Nachbarschaft – die Bauern rundherum sind Indigene und sprechen ihre eigene Sprache – bringt regelmässig Tortillas vorbei. Ihre Herstellung ist sehr aufwändig (vielerorts in Mexiko bekommt man industriell gefertigte Tortillas). Erst legt man getrocknete Maiskörner über Nacht ein, kocht sie danach während Stunden weich und mahlt die Körner zu einem feinen Teig. Aus dem macht man Kugeln und presst sie in einem speziellen Gerät aus Holz. Im Comal, einer flachen Pfanne aus Metall oder Ton, bäckt man die Tortillas – oder wärmt sie später auf, wie das Stephanie für uns getan hat. Wir haben bei ihr leckere Blumenkohlsuppe gegessen. Unbedingt nachkochen werde ich mal ihre Basilikum-Pesto mit Erdnüssen und geröstetem Sesam. Auf dem Tisch standen immer ein Glas mit einer abartig scharfen Chili-Sauce. Sie kommt aus der Küche von Yuridia. Sie und Sebastian (ein Deutscher) leben mit ihren beiden kleinen Kindern ganz in der Nähe von Rancho Evergreen.
Wir haben an einem Nachmittag einen Spaziergang unternommen – Hündchen Scooby hat uns begleitet – und Yuridia und Sebastian besucht. Sie haben das ambitionierte Projekt Lum Ha‘ gestartet und wollen mit ihrer Ranch Permakultur, Wiederaufforstung und das Bauen mit natürlichen Materialien fördern. Ich fand den kurzen Besuch (wir wollten vor allem auch eingemachte Chilis kaufen) sehr inspirierend. Nochmals zwei Menschen, die ihren Traum leben und auf dem Land Glück und Erfüllung gefunden haben.
Ferien auf El Rancho Evergreen: Stephanie und Sam vermieten ein Cottage mit Küche für 4 bis 5 Personen (über Airbnb) sowie ein einfaches kleines Zimmer (2 bis 4 Betten, mit geteiltem Bad und Komposttoilette, wir haben dort geschlafen). Essen und Reiten nach Absprache. Man gelangt mit Colektivos und Taxi zur Farm, am einfachsten lässt man sich aber gleich direkt in „San Cris“ abholen. Stephanie kennt einen guten Taxifahrer und hilft auch sonst per Mail gerne weiter. elranchoevergreen@gmail.com