Beim Reisen stellt sich bei mir das Entdeckergefühl eher selten ein. Der einsame Planet ist zum hohlen Versprechen geworden – denn ganz ehrlich, eine Horde Backpacker ist genauso schlimm wie ein Reisebus voller Rentner. Aber klar, Zeit für Experimente haben die wenigsten. Die Urlaubstage sind begrenzt und diese möchten wir natürlich an Orten verbringen, die andere vor uns schon als schön und lohnenswert erlebt haben.
Der Grund für unsere Reise nach Südostanatolien war erst mal ein persönlicher. Piris Mutter lebt dort. Wir haben den Besuch auf einen dreiwöchigen Road Trip erweitert und zwei wunderschöne Tage in Gaziantep verbracht. Die Bewohner nennen ihre Stadt meist kurz Antep – das vorangestellte Gazi, bedeutet Kriegsveteran und erhielt die Stadt 1921 zur Zeit des türkischen Befreiungskrieg als sie sich gegen die französische Militärbesatzung aufgelehnt hatte. Westliche Touristen trifft man unterwegs nur selten an – und die wenigen werden mit Begeisterung und Stolz empfangen. In der Türkei selbst ist die Stadt wegen seinen hervorragenden Pistazien und dem Baklava, das man daraus macht, bekannt. Die besten kriegt man im Restaurant Imam Cagdas in der Altstadt. Dort türmen sich die runden Backbleche mit dem klebrigen Blätterteiggebäck gleich neben dem Eingang. Im Restaurant (wo auch Ministerpräsident Erdogan gerne essen soll) geht es geschäftig wie in einer Kantine zu und her. Wir wählten einen Tisch auf den Balkon im zweiten Stock, von wo man das schöne Lokal mit dem grossen Kronleuchter gut überblicken und die Gäste beobachten kann. Da sind Geschäftsleute (das Handy immer in der Hand oder am Ohr) oder Grossfamilien. Unsere Mezze wurden schnell und ohne Schnickschnack aufgetragen, schmeckten aber gut. Das Highlight war ganz klar das Baklava, das es hier in verschiedenen Variationen gibt und kalorienmässig eigentlich schon eine ganze Mahlzeit hergibt. Gleich neben dem Imam Cagdas führt eine kleine Treppe hoch in eine schmale Gasse zum Hotel Anadolu Evleri. Das schlichte Schild an der Mauer verrät wenig, erst wenn man durch die Pforte in den Hof tritt, entdeckt man, welches Juwel sich hier verbirgt. Das verwinkelte, alte armenische Anwesen wurde liebevoll renoviert. Jedes Zimmer ist individuell gestaltet und mit alten Gegenständen dekoriert. Morgens frühstückt man draussen im grösseren der beiden Innenhöfe (Bild 1 und 2). Der Service schleift etwas (man spürt, dass das Besitzerehepaar in Istanbul weit weg ist… ausserdem spricht das Personal nur schlecht Englisch) beeinträchtigt das schöne Ambiente aber nicht.
Ein absolutes Highlight in Antep ist das Zeugma-Mosaik-Museum. In Südostanatolien arbeitet der Staat seit den 80er Jahren an einem riesigen Staudammprojekt (GAP), einige Gebiete wurden bereits geflutet, darunter auch der Birecik-Staudamm. Bevor dort 2000 alles unter den Wassermassen verschwand, haben Archäologen Mosaike aus den alten römischen Villen der Stadt Zeugma geborgen. Diese sind in einem tollen Zustand und von beeindruckender Grösse. Das Museum (es beherbergt die weltweit grösste Sammlung an Mosaiken) wurde eigens dafür gebaut und die Fundstücke werden toll präsentiert. Das Mosaik oben zeigt den Meeresgott Okeanos mit seiner Gemahlin Tethys, umgeben von Meeresbewohnern.
Zufällig entdeckt haben wir das Gaziantep Oyunca Muzesi, eine Sammlung von altem Spielzeug aus dem 20. Jahrhundert. Da gibt es eine Metzgerei in Puppenstubenformat (sehr bizzar), eine Rigi-Seilbahn oder Plüschtiere, die eher zum Fürchten als zum Kuscheln taugen. Das Museum ist ebenfalls in einem ehemals armenischen Anwesen untergebracht (im Quartier rundherum gibt es viele solche Häuser, die nun renoviert werden) und hat auf dem Dach ein tolles Café. Von dort blickt man über die ganze Altstadt, kann in Ruhe einen türkischen Kaffee trinken und geniessen, dass man hier nicht als Tourist sondern als Gast empfangen wird.