Anfang Januar 23 waren wir für eine Recherche Reise einen Monat in San Cristobal de las Casas unterwegs, ich zum Zeichnen und Informationen für ein Graphic Novel Projekt sammeln, sie als vitaler Side Kick. Atelier Flex nennt sich das. Eine schöne und fruchtvolle Sache.
Unser Hauptquartier war Na Bolom, das Haus des Jaguar. In Na Bolom – 1891 erbaut und ursprünglich als Priesterseminar gedacht, von Frans und Trudy Duby Blom 1950 gekauft und zu einem wissenschaftlichen Zentrum umgebaut, heute eine Non-Profit-Organisation mit Museum, Bibliothek und Hotel – hatten wir Zugang zum Archiv, das heisst, wir konnten die Gästebücher von 1950 bis 1979 durchsehen und abfotografieren. Mit Unterschriften, Zeitungsartikeln, privaten Bildern und Fotos von Besuchern aus der ganzen Welt. Unter anderem von der Künstlerin Georgia O’Keeffe oder der Fotografin Marcey Jacobson. In einer Agenda von Frans Blom fanden wir zu unserer Überraschung die Telefonnummer von Diego Rivera!
Aber auch hochrangige Politiker wie der Gouverneur von Chiapas, Manuel Velasco Suarez oder Luis Echeverria Alvarez, 1970-76 Präsident von Mexico, waren Gäste im Haus. Und Archäologen, Buchautoren sowie Bekannte aus der Schweiz waren auf Besuch (zum Beispiel der Zuger Fotograf Armin Haab).
Nach dem Tod von Frans Blom 1963 gab es manche Veränderungen, was sich aus den Gästebüchern gut ablesen lässt. So gab es beispielsweise viele Volontärinnen (vorwiegend aus den USA), welche sich um administrative Dinge während den längeren Abwesenheiten (Expeditionen in die Selva) von Trudy Blom kümmerten.
In dieser Zeit sind auch einige Dinge in dem grossen Haus verschwunden. So gibt es einen Eintrag im Gästebuch, in dem sich ein Volontär wundert, wo das Jaguarfell an der Wand in der Bibliothek Fray Bartolomé hingekommen ist. Auch die hohen Telefonrechnungen und die Suche nach der Schere waren ein Dauertema unter den Mitarbeitern.
In Na Bolom führten wir viele auch kritische Gespräche mit den wissenschaftlichen Mitarbeitern des Museums wie dem Historiker Timothy May oder Patricia López Sánchez, der Direktorin. Aber auch mit Zeitzeugen, die Trudy Blom kannten, wie ihr ehemaliger Mitarbeiter Don Pepe oder Grace Johnson , die als junge Frau in den 80er Jahren Volontärin war.
Auf unserer Reise in die Selva Lacandona – dem Regenwaldgebiet, das sich von Chiapas bis nach Guatemala, an den Usumacinta Fluss erstreckt – besuchten wir die wichtigen archäologischer Maya-Stätten Palenque, Yaxchilan und Bonampak.
Die Selva ist seit hundert Jahren eine Quelle politischer Spannungen. Auf der einen Seite sind die Zapatisten und ihre indigenen Verbündeten, die das Land bewirtschaften wollen, auf der anderen Seite die Lakandonen, welchen 1972 von Gouverneur Velasco Suarez – mit Unterstützung von Trudy Duby Blom – einen grossen Teil des Regenwaldes als Reservat zugesprochen erhalten haben. Kritiker behaupteten, dass aufgrund des Dekrets eine sehr kleine Gruppe von Lakandonen („Duby`s favourites“) zu den grössten Landbesitzern in Mexiko geworden sei. Leider ist heute bekannt das die Lacandonen das begeherte Mahagoni Holz verkauft haben, gegen Pickup Trucks, Gewehre, Alkohol und ähnliches – ausgerechnet an den Gouverneur von Chiapas und seine Gefolgsleute. Obwohl ein Grossteil der Bäume des Reservats abgeholzt wurden, ist die Selva Lacandona immer noch einer der grössten Regenwälder Mexikos.
In Naha, dem Lieblingsort von Trudy Blom in der Selva, hatten wir die Möglichkeit mit Kayum Ma’ax, einem Sohn der dritten Frau von Chan K’in Viejo (dem „Toohil“, spirituellen Führer der Lacandonen und in den 90er im Alter von 104 Jahren verstorben) zu sprechen. Clara, eine Werbetexterin aus Lissabon, die wir in San Cristobal kennengelernt haben, hat uns nach Naha begleitet und das Gespräch auf Englisch übersetzt. Kayum Ma’ax ist ein etablierter Künstler und malt in seinen Acryl Bildern Figuren und Visionen mit grossartigen Metaphern aus dem Glaubenskosmos der Lacandonen.
Die Reise in die Selva Lacandona war auf mehreren Ebenen eindrücklich. Mir ist durch die vielen Interviews und Gespräche bewusst geworden, dass man die Geschichte der Lacandonen und auch die von Trudy aus heutiger Perspektive erzählen muss. Mit all ihren Brüchen und teils verwirrenden Verstrickungen.
Trudy Blom ist am 23. Dezember 1993 in Na Bolom in San Cristobal im Alter von 92 Jahren gestorben. Am 1. Januar 1994 besetzten die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung San Cristobal mit einem bewaffneten Aufstand. Sie verfehlten jedoch das Ziel, eine landesweite Revolution auszulösen. Nach einigen Tagen des Kampfes zogen sich die Zapatisten aus den Städten in die schwer zugängliche Selva zurück, in der die sie unterstützende indigene Bevölkerung bis heute lebt.
Trudy wurde neben Frans Blom auf dem Friedhof von San Cristobal beigesetzt. Im Jahr 2011 wurden die Überreste von Frans und Gertrude Blom exhumiert, nach Naha gebracht und in der Nähe des Grabes von Chan K’in Viejo begraben.
Für uns war es nicht möglich das Grab zu besuchen. Wir bräuchten eine Genehmigung, sagte man uns. Das würde 15 Tage dauern, mindestens. Das sei heiliger Boden und daher für Touristen nicht zugänglich. Sonst aber war die Recherche Reise in Chiapas ein voller Erfolg.